
Radtrilogie I: Das Gestern
Verwaltung des Stillstandes in einer autogerechten Gemeinde
Sie kennen die Schlagworte, die seit Jahren rund um das Thema Radverkehr fallen: „Ausbau der Radinfrastruktur“, „mehr Gleichberechtigung im Straßenverkehr“, „Teil der Verkehrswende“, „Beitrag zum Klimaschutz“, „gesunde, günstige und nachhaltige Fortbewegung“, usw.. Ja, in der Tat: Im Nahverkehr ist das Rad ein bestens geeignetes Verkehrsmittel gegen Abgase, Staus, Bewegungsmangel und Klimawandel.
Dann nähern wir uns mal mit einem genaueren Blick unserer Heimatgemeinde Nußloch. Wenn wir das Ganze objektiv betrachten und uns ehrlich machen, dann muss man festhalten, dass man den Radverkehr in Nußloch über Jahrzehnte vernachlässigt, um nicht zu sagen außer Acht gelassen, hat.
Woher kommt das eigentlich? Dazu sollte man zunächst den Gesamtkontext in den Blick nehmen. Seit den 1970er-Jahren nahm der motorisierte Auto- bzw. Individualverkehr stetig zu. Entsprechend gab es u. a. auch Radfahrer, die auf das Auto umstiegen auch und der schienengebundene Personennahverkehr in unserer Gegend wurde zunehmend unrentabler. Dies führte dazu, dass z. B. die Straßenbahnlinie Leimen-Nußloch-Wiesloch und Bahnstrecken wie Wiesloch-Dielheim-Meckesheim stillgelegt und zurückgebaut wurden. Der Autoverkehr wurde immer dominanter und der Straßenaus- und Neubau forciert. Diese Entwicklung hält übrigens bis heute unverändert an. Auch die Ergebnisse bleiben dieselben: Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten!
Das Radfahren war in den 1980ern und 1990ern nicht nur in Nußloch ein untergeordnetes „Nebenher“ zumal das gewöhnliche Fahrrad eher das Fortbewegungsmittel von Jugendlichen, Menschen, die sich kein Auto leisten konnten, oder älteren MitbürgerInnen war. Erst 2002 ist die politische Förderung des Radverkehrs unter der damaligen rot-grünen Regierungskoalition auf nationaler Ebene als Aufgabe anerkannt worden. Ausdruck davon war die Verabschiedung eines sog. Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) für die Jahre 2002 bis 2012 durch den Bundestag. Mit dem NRVP sollten „die Chancen des Fahrradverkehrs im Rahmen einer integrierten Verkehrspolitik in einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verkehrssystem gezielt erschlossen werden“.
Seither gab es Weiterentwicklungen, auch wenn die Investitionen in die Radinfrastruktur gegenüber dem Straßenverkehr und dem ÖPNV marginal blieben: Es wurden gut asphaltierte, verbindende Radwege zwischen Gemeinden gebaut, die Angebotsvielfalt an Fahrradmodellen wurde größer (Mountain-Bikes, Trekking-Bikes, City/Urban Bikes, Holland-Räder, E-Bikes, etc.), Radabstellplätze an öffentlichen Plätzen wurden angelegt, Radschutzstreifen und Bodenmarkierungen ließen entstehende Radinfrastrukturen erkennen, Bike & Ride-Anlagen an ÖPNV-Knotenpunkten entstanden und die Radmitnahmemöglichkeiten im Nah- und Fernverkehr wurden verbessert.
In Nußloch blieb jedoch die Zeit stehen. Objektiv betrachtet sind wir im interkommunalen Vergleich noch völlig rückständig. Es gibt im Ort keine Fahrradstraße, keinen Radweg - den steilen, sanierungsbedürftigen Vogelkefigweg mal ausgenommen (Anmerkung: Man schreibt ihn als Nußlocher Besonderheit tatsächlich mit „e“, nicht „ä“) - es gibt keine Radspur, keine Radschutzstreifen und man sucht auch vergebens nach Bodenmarkierungen oder Piktogrammen. Die Nußlocher Radfahrer aller Altersklassen als auch die täglichen „Durchpendler“ (Leimen, Heidelberg, Wiesloch) arrangieren sich notgedrungen als untergeordnete Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse.
Sie sind bis heute auf allen vier großen Hauptverkehrsachsen (Hauptstraße, Walldorfer Straße, Sinsheimer Straße, Massengasse) gezwungen, im Mischverkehr ohne jeglichen geregelten Schutz zwischen Bordsteinkanten oder am Straßenrand parkenden Autos (sich öffnende Fahrertüren!) und dem Auto- und Busverkehr „mitzuschwimmen“. Die Sicherheit von Radfahren, besonders von älteren Mitbürgern, Jugendlichen und Kindern, lässt auf diesen Straßen – gelinde gesagt – zu wünschen übrig. Unser Ort ist bislang eine autogerechte Gemeinde ohne Struktur und Konzept für den Radverkehr.
Passend dazu enden im Bereich der drei „Ortseingangstore“ - den stählernen Loren-Seilbahnbrücken - auch schlagartig die bis dahin recht gut ausgebauten interkommunalen Radwegverbindungen. Im Süden aus Wiesloch („Alte B3“), im Südwesten aus Walldorf (Walldorfer Straße) und auch im Westen aus Sandhausen/St. Ilgen (Massengasse) kommend, ist unmittelbar nach dem Entrée Schluss: „Willkommen“ in Nußloch! Von einem radfreundlichen Übergang im Osten von bzw. Richtung Maisbach brauchen wir erst gar nicht sprechen - auch nicht existent.
Und wie sieht es im Norden „runter“ zur benachbarten Kreisstadt Leimen aus? Von einem direkten Radweg zwischen Nußloch und Leimen entlang der alten B3 (Landesstraße 594) in der Verlängerung der Hauptstraße träumen die Nußlocher schon seit ein bis zwei Generationen. Getan hat sich nichts: Null, nada, nothing!
Selbst ein simpler, optisch gut erkennbarer Randstreifen, den es – Schilda lässt grüßen - exakt ab der Leimener Gemarkungsgrenze (!) gibt, oder sonstige Verbesserungen scheitern am Behörden-, Vorschriften- und Bürokratiewust oder an „mangelnden Planungskapazitäten“ auf Landes- und Kreisebene. Stattdessen müssen Radpendler zur Arbeit in Richtung Heidelberg als auch SchülerInnen zum Leimener Schulzentrum seit Jahrzehnten unverändert diese Strecke bei Wind und Wetter - im Winter frühmorgens im Dunkeln! - ungeschützt fahren, während der Autoverkehr mit 70, 80 oder 90 km/h an ihnen vorbeirauscht. Dass es hier trotz zahlreicher Bemühungen - zuletzt scheiterte vor knapp zwei Jahren ein von uns unterstützter Antrag der grünen Kreistagsfraktion für den Bau eines Radweges - bis zum heutigen Tage überhaupt keine ausgewogenere, radfreundlichere Lösung gibt, kann man mittlerweile als Provinzposse bezeichnen.
Tatsächlich ist es noch schlimmer. Auch der kilometerlange Gehweg entlang der Straße ist schon lange völlig marode: Asphaltaufbrüche, Löcher, Bodenwellen und durchgängiger Unkrautwildwuchs! Dass seit Jahren rot umrandete Verkehrsschilder Fußgänger (und Radfahrer) vor der Benutzung warnen („Schäden“), während nebenan die Autos auf ihrer bestens präparierten Fahrbahn vorbeifahren, passt in das Gesamtbild. Man muss es leider als Fazit so hart sagen wie es ist: In Nußloch gibt es (noch) keine Radinfrastruktur!
Dennoch, ein Ende des Stillstandes ist nun in Sicht. Seit etwa zwei Jahren gibt es berechtigte Hoffnung und auch erste Schritte in die richtige Richtung. Das hat mit einem aufgeschlossenen, zukunftsorientierten Bürgermeister, einer Verwaltung mit spürbar mehr Gestaltungsfreiräumen und Eigeninitiative, einem 2019 neu gewählten Gemeinderat, einer stärkeren grünen Fraktion und viel anderweitigem Rückenwind zu tun.